Das Gemälde des Lyoner Gotteshauses Paradies, das im Bibelzimmer hängt, ist eines der bemerkenswertesten Stücke des Museums. Es verdient die Erklärung einiger Details, die uns einer der wichtigsten reformierten Maler des 16. Jahrhunderts überliefert hat.
Der Hund ist auf protestantischen Bildern ein regelmässiger Gast, und der beste Freund des Menschen ist auch auf diesem Gemälde zu sehen. Man nimmt an, dass der Hund die Treue symbolisiert, einen der höchsten Werte der Reformation; seine Anwesenheit im Tempel könnte aber auch darauf hinweisen, dass die Kirche im Protestantismus nicht mehr heilig ist, da der Hund oft mit Unreinheit in Verbindung gebracht wird.
Das Bild wurde wahrscheinlich von Jean Perrissin gemalt, von dem auch einige im Raum Barbier-Mueller ausgestellte Kupferstiche stammen, die ihrerseits Teil einer Reihe sind („Vierzig Bilder oder Geschichten über Kriege, Massaker und Unruhen in Frankreich…“). Das Gemälde «Tempel namens Paradies» entstand möglicherweise einige Zeit nach der Zerstörung der gleichnamigen Kirche. 1564 in Lyon erbaut, wurde sie drei Jahre später abgerissen, als die Religionskriege in Frankreich neu aufflammten.
Das Werk ist eines der seltenen bildlichen Zeugnisse aus der Frühzeit der Reformation in Frankreich und die älteste Darstellung einer protestantischen Kirche, die in Frankreich «Temple» heisst. Es gibt einen ganz entscheidenden Unterschied zu den katholischen Gotteshäusern. Der Kirchenraum ist so angelegt, dass es leichter ist, dem Pfarrer zuzuhören, der auf seiner Kanzel in der Mitte des Bildes steht. Ein kleines Stundenglas zu seiner Rechten soll ihn ermahnen, dass die Predigt nicht zu lang sein darf. Die Gläubigen um ihn herum sind sehr frei im Raum verteilt. Da sitzen Kinder, Frauen, Männer mit und ohne Schwert, insgesamt etwa fünfzig Gläubige, die in unterschiedlichen Posen dargestellt sind und so den gemischten Charakter der kirchlichen Gemeinschaft unterstreichen.
Dennoch ist eine soziale Hierarchie wahrnehmbar: einige Gemeindemitglieder haben eine stützende Rückenlehne, andere scheinen auf unbequemen Holzbrettern eher zu kippeln. Die Frauen sitzen alle an einem Ort, ebenso einige Kinder, die zum Teil mit einem aufgeschlagenen Buch auf den Knien, möglicherweise einem Katechismus oder einem Psalter, dargestellt sind.
Es ist nicht klar, welche Feier in der Kirche stattfindet. Es könnte eine Hochzeit sein, wenn man die beiden Figuren betrachtet, die direkt vor der Kanzel sitzen; es könnte aber auch eine Taufe in Vorbereitung sein, wenn man auf das Paar links schaut, das mit einem Wasserkännchen und einem Handtuch ankommt. Allerdings ist kein Täufling zu sehen, es sei denn, man wollte das Paar am Fusse der Kanzel taufen; eine schwer haltbare Hypothese, da das reformierte Täufertum in Lyon damals nicht verbreitet war.
Auffallend sind die Lilien auf der Galerie und auf den Rückenlehnen einiger Bänke, Symbole des Königtums und der Macht. Wahrscheinlich wollte der Protestant Jean Perrissin ausdrücklich darauf hinweisen, dass die Reformation keine politischen Ziele hatte.
„Wir hören nicht auf, für Ihren Wohlstand und den Ihrer Herrschaft zu Gott zu beten“, schrieb Johannes Calvin an König Franz I. in einem Brief, in dem er die erste Ausgabe seiner Institutio Christianae Religionis vorstellte, die ebenfalls im Museum zu sehen ist.
Das Gemälde vom Innenraum der Paradieskirche ist eine grosszügige Leihgabe der Bibliothèque de Genève, und es unterstreicht die doppelte Berufung der Reformatoren als Übersetzer und Interpreten. Es wird zu Recht betont, eine der grössten Errungenschaften der Reformation bestehe darin, dass sie das Lesen der Bibel demokratisiert habe, indem man deren Übersetzung in die Volkssprachen förderte. Die Reformatoren stellten aber sehr bald fest, dass die weit über tausend Jahre alten Texte der Bibel interpretiert und zueinander in Bezug gesetzt werden mussten. Sonst konnte eine selektive Lesart womöglich zu Fehltritten oder zu Aktionen führen, die eher revolutionär als reformiert zu nennen waren, zum Beispiel zur Zerstörung von Bildern im Namen des 2. Gebotes oder zur Ausrufung des Reiches Gottes auf Erden aufgrund einer distanzlosen Lektüre der Bergpredigt.
Bedeutende Reformatoren wie Luther und Calvin erkannten schnell die Gefahren einer Lektüre ohne Anleitung und Einordnung. So ist denn der Aufbau der Universität und der Theologie, deren unerschütterliche Verfechter sie waren, auch als Mittel gegen einen allzu individualistischen Gebrauch der biblischen Lektüre zu verstehen.
Von seiner Kanzel aus, aber ermahnt von der Sanduhr, die Konzentrationsfähigkeit eines Publikums zu berücksichtigen, das doch leicht zerstreut wirkt, erklärt der reformierte Pastor die Bibel und verkündet ihre Wahrheit aufgrund der Auslegung, die er entwickelt und der Kultur seiner Zeit angepasst hat. Das Bild der Kirche namens Paradies ist damit ein Schlüssel zum Selbstverständnis reformierten Handelns, nämlich biblische Wahrheiten so weit wie möglich zu verbreiten, sogar bis hin zu den Hunden, „die die Brosamen fressen, die vom Tisch ihrer Herren fallen“ (Matthäus 15,27).
