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Jede Wand ist wie die Seite eines Buches. Interview mit den Museumsgestaltern
Die Szenografen des neuen MIR, Simon de Tovar & Alain Batifoulier vom Studio Tovar (Paris/Lille), arbeiten regelmäßig in historischen Museen (Maison Victor Hugo, Museum für die Geschichte des Judentums usw.) und haben mehr als 200 Ausstellungen inszeniert (Petit Palais, Musée des Armées, Musée Carnavalet, alle in Paris). Gemeinsam haben die beiden Kreativen das MIR und seine Ausstellung von Grund auf erneuert. Wir haben ihnen ein paar Fragen gestellt.
Welches waren die Herausforderungen bei dieser Museumsgestaltung?
Simon de Tovar: Um die Geschichte der Reformation aus dem reichen, umfassenden Fundus des Museums darzustellen, haben wir uns für einen thematischen Ansatz entschieden. Die einzelnen Fragestellungen werden anhand unterschiedlicher Objekte behandelt. Nach einer Analyse der verfügbaren Ausstellungsfläche hat das Museum die Exponate ausgewählt. Die gezeigten Werke sind der Einstieg für den Besucher, der durch verschiedene Ebenen der Lektüre und der Inhaltsvermittlung geführt wird.
Alain Batifoulier: Es galt auch, den Respekt für den historischen Bau mit den Anforderungen an eine Ausstellung auf engstem Raum zu vereinbaren und den Charakter der ehrwürdigen Maison Mallet zu bewahren. Unsere Lösung sind die «floating-rooms», eine Art zweite Haut an den Wänden, vorgehängte, abmontierbare Strukturen, die Schaukästen tragen und Ausstellungsfläche gewinnen lassen. Der historische Parkettboden bleibt unbeschädigt, und sogar die ursprüngliche Holztäfelung bleibt teilweise sichtbar. Die Maison Mallet haben wir also erhalten. Das Untergeschoss dagegen wurde komplett umgebaut, die Räume vergrößert und heller gemacht.
Wie haben Sie den Ausstellungsablauf konzipiert?
AB: Herzstück und Ausgangspunkt war die Sammlung Barbier-Müller, deren 140 Dokumente nicht getrennt ausgestellt werden sollten. Davon sind wir ausgegangen und haben für diese Objekte eine Inszenierung gesucht, die den bibliophilen Besucher genauso anspricht wie den Laien. Anschliessend haben wir den dafür am besten geeigneten Raum ausgewählt, was den restlichen Rundgang quasi definierte.
SdT: Der Gang durch das Museum ist eine historische und thematische Reise. Der Ablauf ist chromatisch angelegt, womit der Übergang von einem Kontext zum nächsten unmittelbar und fast wortwörtlich ins Auge fällt. Die Szenografie soll spielerisch und ansprechend sein, aber auch stimmig: Das Blau am Anfang verweist auf das Lutherporträt von Cranach, das Rot im entsprechenden Raum auf die blutrünstige Gewalt der Religionskriege. Und natürlich die vielen Kontraste: Wir beginnen mit Werken aus dem 16. Jahrhundert, aber am Ende steht der Besucher vor einer durchaus fetzigen Videoinstallation, die den Begriff der Reform/Reformation und des Protestes hinterfragt.
Wie sind die einzelnen Räume zu lesen?
SdT: Die Inszenierung ist grafisch und bietet mehrere Ebenen der Lektüre. Ein Titel, eine Überschrift sagt dem Besucher, wo er sich gerade befindet, wie in einem Buch. Zu jedem Thema, beispielsweise der Ausbreitung des Protestantismus, werden Akteure, Schriften, Praktiken gezeigt, neben Zitaten oder Bildern, die zusätzliche Einblicke und ein anderes Verständnis ermöglichen. Thematische Texte bieten eine vertiefende Lektüre und mit der Beschilderung auch einen Titel für jedes Objekt. Jede Wand liest sich wie eine Seite in einem Buch, mit dem Ziel, im Gedächtnis des Besuchers starke Bilder zu hinterlassen.
AB: Unser Motto ist «savoir donner à regarder», zu gut Deutsch: Hingucker schaffen. Die Räume sind wie Privatzimmer angelegt, was durch die Teppiche noch verstärkt wird. Es soll eine Stimmung wie in einem Kuriositätenkabinett entstehen und der Besucher das Gefühl bekommen, er komme in den Genuss eines Privilegs, indem man ihm etwas über die Geschichte des Protestantismus erzählt. Jedes ausgestellte Objekt tritt in Austausch mit etwas Grösserem und verbindet sich über Kraftfelder mit weiteren Objekten. So entsteht beispielsweise durch die Gegenüberstellung der Porträts von Luther und Calvin gleich am Eingang eine starke Wirkung.
Welche Freiheiten hat Ihnen das MIR bei Ihrer Arbeit gelassen?
SdT: Die Inspiration eines Ortes ergibt sich immer aus der Geschichte, die der Kurator oder der Museumsdirektor erzählt, und aus dem Geist, in dem er sie vorträgt. Gabriel de Montmollin hat uns klare Schlüssel zum Verständnis gegeben und damit die Türen für eine unkonventionelle Ausdrucksweise weit geöffnet. Es ist selten und fabelhaft, wenn man als Ausstellungsgestalter ein so ernsthaftes Thema auf so vielfältige Weise umkreisen kann.
AB: Die grossartige Sammlung des MIR bot uns eine sehr spannende Mischung für die museale Darstellung. Normalerweise erstellen Kuratoren und Historiker die Liste der Exponate; hier wurden wir in die Arbeit eingebunden. Der Austausch mit dem wissenschaftlichen Komitee und dem Museumsteam war faszinierend und hat es möglich gemacht, dass wir alle in einer schönen Kooperation am gleichen Strang gezogen haben.
Inklusion und Diversität gehören heute mit dazu, wie haben Sie das berücksichtigt?
SdT: Die Vermittlung setzt Digitaltechnik auf mehreren Ebenen ein: Audioguides in zehn Sprachen und in Braille, animierte Installationen, eine digitale Karte zur Darstellung der Verbreitung des Protestantismus, Künstlervideos…
Eine technologische Integration, die aber nie den Besuchsablauf behindert oder das Thema beschädigt. Vielmehr sollen Themen entweder vertieft oder ein Einstieg dazu geboten werden. Wir wollten aber auch vermeiden, dass der Besucher ständig vor Bildschirmen steht, die unseren Alltag doch schon zur Genüge beherrschen.
AB: Bei der ganzen Ausstellung wurden Personen mit beschränkter Mobilität und deren Bedürfnisse immer mitgedacht: Bei der Höhe der Schaukästen, der Neigung der Texte, der Schriftgrösse, der Beleuchtung. Dabei handelt es sich um gesetzliche Vorschriften, aber auch um Details, auf die wir immer sorgfältig achten.
Das Interview der Ausstellungsgestalter als Video (Französisch):
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